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Geschichten von Schaf Schokolade – die Unverwundbare!

Seit ein paar Wochen war ein neues Schaf in die Herde gekommen – die Unverwundbare. Wieso sie die Unverwundbare heißt, werdet ihr in dieser Geschichte erfahren.

Schaf Schokolade erfuhr vom Schäfer, dass er Schaf Zottel, so nannten seine Kinder das neue Schaf, aus schlechten Verhältnissen gerettet hatte. Zottel war in einer sehr misslichen Lage gewesen, in der sie nur wenig Futter und Wasser bekam. Außerdem durfte sie nie ihren Stall verlassen. Zottel verbrachte Tag und Nacht alleine in einem kleinen Stall, in dem sie sich nur in einem kleinen Radius drehen konnte. Sie war sehr abgemagert und ihre Augen waren leer.

Schaf Schokolade fragte sich, wer einem Wesen so etwas schreckliches antun konnte. Sie war sehr glücklich, dass ihr Schäfer ein so großes Herz hatte, alle gut versorgte und Zottel zu uns brachte. Außerdem fragte sich Schokolade, wie lange Zottel alleine gelebt hat. Denn Schafe sind Herdentiere und Schaf Schokolade konnte sich keine Sekunde ohne ihre Herde oder ohne die Menschen, die regelmäßig zu Besuch kamen, vorstellen.

Das Fell von Schaf Zottel war voller Knoten und voller verfilzter Haare. Kein Wunder, dass die Kinder das Schaf so tauften. Sie waren besonders kreativ bei Namensgebungen. Dank der Kinder, hatte sie selbst so einen tollen Namen erhalten.

Schaf Schokolade, die die Herde anführte, wollte Zottel direkt nach ihrer Ankunft begrüßen. Sie rannte mit vollem Galopp auf sie zu voller Vorfreude, Zottel begrüßen zu dürfen. Schokolade war bei Begrüßungen generell sehr stürmisch und konnte sich beim begrüßen nie so richtig zurückhalten. Zu groß war einfach ihre Freude. Sie wusste, dass sie mit ihrem Verhalten manchmal über die Stränge schlug.

Schokolade freute sich über das neue Schaf Zottel und wie es so ihre Art war, begrüßte sie Zottel ganz nah, in dem sie sie freundlich mit ihrer Nase an stupste. Schokolade zeigte damit ihre offene Art. Zottel hingegen bekam so große Angst vor Schokolade, dass sie sich zusammen kauerte. Am liebsten wäre sie sogar geflohen, aber sie stand in einer Ecke und an Flucht war deshalb nicht zu denken.

Schaf Schokolade brauchte in ihrem Übereifer ein paar Sekunden, Zottel mit ihren Gefühlen und Verhalten wahrzunehmen. „Oh, du hast ja Angst vor mir! Das brauchst Du nicht, Du bist jetzt in Sicherheit und ich und die Anderen passen auf Dich auf!“ sagte Schaf Schokolade zu Zottel. Zottel jedoch war sehr skeptisch auf Grund ihrer schlechten Erfahrungen. Sie wollte erst einmal in Ruhe ankommen und war froh, dass sie überhaupt in der Lage war auf ihren vier Beinen zu stehen und ein paar Schritte zu gehen.

Schaf Zottel konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal so viel Wiese, so viel Licht, so vie Weitblick und so viel Futter gesehen hatte. Zottel spürte in sich große Angst, auch wenn sie wusste, dass sie aus dem schrecklichen zu Hause erst einmal raus war. Das Neue machte ihr genauso Angst, wie der Gedanke daran, zurück zu müssen. Sie zitterte am ganzen Körper vor Angst und hechelte. Ihre Augen riss sie weit auf. Sie versuchte was zu sagen und merkte, dass ihr auch das schwer fiel. So lange hatte sie nicht mehr gesprochen. Nach mehreren Versuchen sagte sie zu Schokolade „Iiicchh habbbbe Aaannggssstt!“

Schaf Schokolade, die bisher noch nie jemanden in so einem Zustand gesehen hatte, war entsetzt. Sie wich zurück, was sie selbst verwunderte, denn zurückweichen war bisher für sie noch nie eine Option gewesen. In Schokolade machte sich eine Traurigkeit breit. Ihr sonst leichtes Gefühl wich und eine Schwere machte sich in ihr breit.

Der Schäfer beobachtete die Situation und rief Schokolade zu ihm hin. „Lass sie erst einmal ankommen, Du herzliches, aber stürmisches Schaf“! Schaf Schokolade fühlte Mitleid mit Zottel, aber auch mit sich selbst, dass sie wohl nicht ganz passend reagierte. Sie zog sich zurück.

Schaf Zottel atmete tief durch, als sie wieder für sich alleine sein konnte. Die ersten Tage blieb sie sicherheitshalber in ihrer Ecke. Der Schäfer hatte Verständnis und brachte ihr das Futter und das Wasser direkt dort hin.

Zottel beobachtete die Herde ganz genau und sie glaubte ihren Augen nicht, was sie da sah. Die Schafe spielten und tollten miteinander, sie kuschelten sich aneinander und schützten sich gegen die Hitze, in dem sie eng beianander standen und sich so gegenseitig Schatten gaben. Und was sie noch verwundert beobachtete, die Schafe freuten sich jedes Mal, wenn Menschen zu Besuch kamen.

Zwei Wochen später sah sie immer noch dieses Bild. Dieses Bild von Frieden, von gegenseitiger Freundschaft und Liebe, von Vertrauen. Bei diesem Bild kullerten ihr die Tränen herunter. Sie wollte das auch, fühlte sich aber so, als wenn sie es nicht verdienen würde. Jahrelang musste sie doch alleine verbringen.

Schaf Kakao, die Tochter von Schokolade, war wie ihre Mutter eine Seherin und beobachtete Zottel, wie sie weinte. Kakao nahm ihren ganzen Mut zusammen und ging in vorsichtigen Schritten auf Zottel zu. Zottel wollte erst zurückweichen, aber sie spürte den Mut in Kakao und sagte zu sich selbst, ich versuche es auch mal ein bisschen mutig zu sein.

Kakao setzte sich schräg neben Zottel, so dass beide die Möglichkeit zum Ausweichen hatten. „Ich bin Kakao, schön dass Du bei uns bist! Ich kann mir vorstellen, dass es für Dich sicher nicht einfach ist, hier bei uns anzukommen!“ Zottel freute sich über dieses Mitgefühl und annähern. „Ja, dass stimmt. Ich frage mich ob ich das verdiene, hier zu sein. Und ich frage mich auch ob das hier alles wirklich wahr ist, was ich sehen kann.“ Kakao hörte dabei die Zweifel und Ängste aus Zottel sprechen.

„Ich kann mit Dir mitfühlen und Du hattest bisher sicher ein schweres Leben. Aber eins sage ich Dir auch ganz direkt von Schaf zu Schaf. Jedes Schaf hier ist es Wert, hier zu sein! Und jedes Schaf darf hier es selbst sein! Also auch Du bist es Wert, auch wenn Du bisher etwas anderes erfahren hast!“ sprach Kakao mit einer klaren und selbstsicheren Stimme.

Zottel war sich noch etwas unsicher ob es Kakao ernst meinte. Kakao spürte dies und setzte nun mit ihrer Liebe nach: „Deine Wunden werden heilen und ich bin schon sehr gespannt, wie Du Dich in den nächsten Wochen verändert haben wirst!“ Ein Funken der Liebe von Kakao sprühte auf Zottel über und sie spürte in sich, wie sich ihr Herz ein klein wenig öffnete. Sie fing das erste Mal nach Jahren an wieder zu vertrauen.

Auf einmal sprang Zottel auf, hüpfte über die Wiese, als wenn sie unter Strom stand und sang: „Ich bin es wert! Ich bin es wert! Ich bin es wert!“ Zunächst sprang sie noch etwas vorsichtig, dann aber legte sie ihre Sorgen ab und sprang voller Vertrauen durch die Gegend. Kakao freute sich sehr und hüpfte mit über die Wiese. Beide sangen nun im Chor: „Ich bin es wert!“

Schaf Schokolade und der Schäfer, der gerade bei ihr stand, beobachteten das fröhliche Herumgehüpfe. Er blickte Schokolade in die Augen, klopfte ihr auf den Rücken und sagte: „Ja, deine Tochter Kakao weiß, was Selbstwertgefühl und Mitgefühl bedeutet.“

Schaf Schokolade war stolz auf Kakao und fühlte selbst, dass sie Schaf Zottel nicht angemessen willkommen hieß. Sie reflektierte ihren Fehler. Ihr Mitleid gegenüber Zottel und ihr fehlendes Taktgefühl machten die Kontaktaufnahme vor ein paar Wochen nicht möglich. Sie nahm sich vor, sich beim nächsten Mal mehr zurückzunehmen.

Kakao und Zottel verbrachten in den nächsten Wochen sehr viel Zeit miteinander und es war für Kakao eine große Freude zuzusehen, wie schön sich Zottel entwickelte. Und die Entwicklung war nicht nur an ihrem Haarkleid zu sehen, was mittlerweile ohne Knoten und Verfilzungen aus kam. Zottel blühte richtig auf, sie wurde rund und kräftig, wie die anderen Schafe und ihre Augen leuchteten.

Schaf Schokolade war über die Entwicklung von Zottel verblüfft, wusste sie doch, was sie schweres durchmachen musste. Sie hatte aber schon mal von ganz besonderen Wesen gehört und erinnerte sich, wie sie von ihrem weisen Opa genannt wurden –

Die Unverwundbaren.

„Oh ja, dazu gehörte Zottel auch – die Unverwundbare“, sagte Schokolade zu sich selbst.

Was können wir von Schaf Schokolade lernen?

Ich weiß diese Geschichte kann in uns Traurigkeit hervorrufen. Traurigkeit, weil wir vielleicht bei uns selbst erlebt haben, dass wir von anderen Menschen nicht gut behandelt wurden oder es bei Anderen miterleben durften, dass sie nicht gut behandelt wurden bzw. werden. In der Schafsherde gibt es dank des Schäfers zum Glück ein Happy End. Das Happy End hat aber auch mit dem Fingergefühl von Schaf Kakao maßgeblich zu tun und mit der neuen Einstellung von Schaf Zottel – dass sie trotz der Widrigkeiten in ihrem Leben, nun verdient hat, ein gutes Leben führen zu dürfen. Es hat sich also trotz schlechter Erfahrungen ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln können. Dafür war das Mitgefühl von Kakao, aber auch das entwickelte Selbstmitgefühl von Zottel ein wichtiger Schlüssel.

Ein gesundes Umfeld, in der das Verhalten von Menschen in der Regel stimmig und schlüssig ist, erleichtert es wesentlich ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln.

Wir leben jedoch in einer Zeit, wo wir eher in unserem Umfeld mit ständig wechselnden Signalen leben und das teilweise sogar noch in Kombination mit Krieg, Terror, Verwahrlosung und Gewalt.

Diese Geschichte soll Hoffnung geben, für alle, die durch ihre Mitmenschen schlechtes erfahren haben oder vielleicht noch in so einer Situation stecken. Mit (Selbst-)mitgefühl und einem hoffentlich besseren Umfeld können wir zusehen, wie diese Menschen wieder zu ihrem Selbstwert, zu ihrer Hoffnung, ihrer Liebe und ihrem Vertrauen Stück für Stück zurück kommen, manchmal sogar das erste Mal damit in Kontakt kommen. Auch das ist möglich – man nennt es auch die Unverwundbaren.

Veröffentlicht von Daniela Holtz

Tiergestützer Systemischer Mastercoach (DGfC) und Trainerin in der Erwachsenenbildung.

22 Okt, 2022

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2 Kommentare

  1. Susanne Wolf

    Liebe Daniela, wie habe ich mich gerade gefreut. Dir ist mit „Der Unverwundbaren“ wieder eine wahrhaftig Geschichte gelungen, bravo. Mir ist natürlich bewusst, wie ich mich in solchen Situationen verhalten sollte, aber nicht immer gelingt es mir. Deshalb sensibilisieren Deine Erzählungen auf wunderbare Weise und sind nicht nur schön zu lesen, sondern sehr wertvoll. Ich freue mich auf die Fortsetzung.

    Antworten
    • Daniela Holtz

      Vielen Dank liebe Susanne! Es freut mich sehr, dass Dir die Geschichte gefällt und Du aus der Geschichte was mit nehmen kannst.

      Liebe Grüße Daniela

      Antworten

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